Die Wahrheitssucher
von Rüdiger Baumann
WARNHINWEIS FÜR ALLERGIKER:

Dieses Stück enthält Spuren von Luther.

2017 können viele diesen Namen nicht mehr hören. Darum kommt hier eine Teilentwarnung: Es wird nicht das Leben des Reformators nachgespielt. Kein Blitz, keine Katharina, kein Bann.

Nein, UNSER Leben wird nachgespielt. Ein klitzekleiner Ausschnitt. Wir sind alle auf der Suche nach dem richtigen Weg, dem Glück, dem Sinn. Kurz: Nach der Wahrheit. Wir irren alle und ganz besonders jene, die meinen, sich auszukennen.

Valerie macht ihr Floß startklar für die Reise in ihr Leben als Erwachsene. Ihre Eltern stehen ihr mit nervenden Ratschlägen und erdrückender Fürsorglichkeit zur Seite. Dann tauchen auch noch ein Priester und ein Protestant auf, um ihr zu helfen. Hilfe!

Es spielen:
Nadine Dörfler,
Silvia Canola-Haußner,
Anja Gimpel-Henning / Anja Müller,
Martin Fleischmann,
Raimund Pretzer,
Bärbl Zeller,
Günter Zeller,
Jürgen Zinck

Zum Stück:

Der Titel ist Schwindel. Die meisten Figuren in diesem Stück suchen nicht nach der Wahrheit. Sie glauben sie gefunden zu haben. Darum folgt dieses Stück nicht den Gesetzen des Theaters, denn ein Großteil der Personen macht keine Entwicklung durch. Sie bleiben stehen. Vorsicht! Ist das in unserem Leben vielleicht auch so? Je mehr „Erfahrung“ wir haben, desto weniger sind wir bereit, Änderungen zu akzeptieren, denn das macht ein Umdenken erforderlich und das wiederum bedeutet Arbeit. Außerdem geben wir ungern Irrtümer zu. Wir wissen, wie das Leben funktioniert. Das reicht uns, gibt uns Sicherheit und Selbstbewusstsein.

So gerüstet treten wir älteren den jüngeren Menschen gegenüber. Schließlich haben wir ihnen ja auch eine Menge voraus. Ihre (ver)störenden Fragen überhören wir gerne. Stattdessen machen wir ihnen großzügige Geschenke aus dem reichen Schatz unserer Erfahrungen. Es ärgert uns, wenn sie unsere gut gemeinten Ratschläge nicht annehmen, sondern alle Fehler, die wir doch schon gemacht hatten, selbst durchleiden wollen.

Aber Hand aufs Herz: Sind wir tatsächlich so gescheit? Bedenken Sie, dass selbst ein Mensch wie Martin Luther, der das Denken seiner Zeit in vielen Dingen auf den Kopf gestellt hat, ein Mensch, dessen Einsichten die Welt verändert haben und den Weg zu einer aufgeklärteren Gesellschaft geebnet haben, in vielen der damals herrschenden Ansichten gefangen war. Manches gab er von sich, das heute haarsträubend klingt.

Noch einmal die Frage: Sind wir wirklich so gescheit? Wir orientieren uns in vielen Dingen am Zeitgeist und dem, was halt die Mehrheit so macht. Hat unsere Zeit Recht? Wir halten sie für „modern“, weil sie in der neuesten aller Zeiten stattfindet, nämlich heute. Daher glauben wir an der vordersten Front der Entwicklung zu sein. Bedenken Sie aber, dass es für Luther vor 500 Jahren genauso war und der Mann war wirklich ein großer Vordenker. Versuchen Sie sich auszumalen, was man in einem halben Jahrtausend über uns sagen wird.

Ich finde, Valerie macht es richtig. Sie folgt nicht blind den Autoritäten und lässt sich auf das Abenteuer Leben ein. Ich wünsche ihr, dass sie nicht voreilig ihre Anker wirft und sich an sicheren Küsten an ihrem Proviant aus Erfahrungen fett frisst. Möge sie noch lange auf der Suche nach den Wahrheiten bleiben.

Rüdiger Baumann